„In Malawi gibt es keine Notfälle“

Nach vier Wochen Famulatur ist unsere Zeit im Nkhoma Hospital letzte Woche zu Ende gegangen. In diesen vier Wochen haben wir viel über tropische Krankheiten, Vorgehensweisen und Abläufe im Krankenhaus und das Gesundheitssystem im Allgemeinen gelernt, sowie die Kultur der Menschen hier miterlebt. In unserer Zeit wurden uns die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem malawischen Krankenhausalltag deutlich.

Hervorzuheben ist, dass hier besonders auf die finanzielle Situation der Patienten geachtet wird. Das heißt, dass genau überlegt werden muss, ob eine bestimmte Untersuchung notwendig für das Wohl des Patienten ist. 
Außerdem strahlten die lokalen Ärzte eine ausgesprochene Ruhe und Gelassenheit aus, was sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich brachte. Wir wurden mit den Worten “in Malawi there are no emergencies” (in Malawi gibt es keine Notfälle) begrüßt. Diese Aussage zweifelten wir zunächst an, doch mit der Zeit bewahrheitete sie sich immer wieder, da selbst bei äußerst bedrohlichen Krankheitsbildern viel Zeit verging, bis weitere Maßnahmen ergriffen wurden. Des Weiteren stellten wir fest, dass immer noch viele Einheimische als erstes zu den so genannten traditional healers gehen, wenn sie krank sind. Generell suchen die Patienten erst bei sehr fortgeschrittenem Krankheitsbild einen Arzt auf, was zu einer hohen Sterblichkeitsrate auch bei jungen Patienten führt.

Unser letzter Abend auf dem Sunset Rock in Nkhoma


Insgesamt sind wir ausgesprochen dankbar für die sehr gute Betreuung im Krankenhaus, insbesondere durch Sam Kabota. Auch in Nkhoma selbst wurden wir von Anfang an sehr gut integriert durch Volleyball- und Squash-Nachmittage, an denen sowohl Einheimische als auch andere Freiwillige des Krankenhauses teilnahmen. Wir können das Nkhoma Hospital für eine Famulatur nur empfehlen und wir werden unsere Zeit dort in sehr guter Erinnerung behalten.

Gewalt, Zerstörung und die Ebola-Epidemie

Nach einem Abschlussgespräch am Morgen mit der Kirchenleitung der evangelischen Difäm-Partnerkirche CECCA 16 geht es zum Flughafen. Kongo Airways bringt mich nach Bunia. Das Einchecken braucht viel Zeit, denn die Internetverbindung funktioniert nur holprig. Also sind es nicht 1-2, sondern knapp 5 Stunden, die man vorher am Flughafen sein sollte.

Aber der Flughafen ist nicht weit von der Stadt entfernt und so fahren wir nach dem Einchecken noch mal zum Chef des Gesundheitsminsteriums der Provinz, der am Flughafen Gäste von UNICEF abholt. Dann geht es los in Richtung Bunia an. 

Begleitung eines Filmteams

In Bunia angekommen treffe ich Susanne Babila und ihr Filmteam vom SWR in Stuttgart, die mich auf der weiteren Reise begleiten werden. Gemeinsam stellen wir uns zuerst bei den Autoritäten von Kirche und Staat vor. Es hat in der Nacht gewittert und regnet unaufhörlich, dazu ist es kalt geworden und ich brauche alle meine warmen Kleider um den Tag durchzustehen.

Auf dem Weg zum Kirchenpräsidenten fallen mir einige große neue Häuser auf. Was ist hier los? Wir hören in den Medien doch von all den Flüchtlingen und der Not in Bunia? Ich frage bei unseren kongolesischen Partnern nach: „Hier hat sich ein Erdöl-Händler ein neues Hotel gebaut“. Das wir hier in einem Erdölgebiet sind, ist mir neu.

Dinge offen ansprechen

Der Besuch beim Kirchenpräsidenten einer weiteren Partnerkirche des Difäm, CECA 20, und seinem Stellverteter wird zu einer sehr interessanten Begegnung. Reverend Pilo ist seit einem Jahr in diesem Amt und begrüßt uns herzlich. Dann frage ich ihn: „Wie sieht es in Bunia aus? Wie geht es Ihnen?“ Und da erzählt er, wie die Zahl der Geflüchteten jeden Tag steigt, wie ganze Gegenden mit Gewalt ‚geräumt‘ werden. Er berichtet von Angreifern, die Straßensperren errichten. „Und dann beginnt das Töten und die Zerstörung. Sie tragen alle die gleiche Uniform, sie haben neue Waffen und wir wissen nicht, wer sie sind. Und junge Männer in den Dörfern werden bezahlt, um zu töten.“ Ich kann kaum zuhören. Mir kommen die Tränen. Wie unsagbar leiden die Menschen hier? Und die große Frage bleibt: Wer steckt dahinter? Wer steuert diese Vertreibung?

Ich bin tief betroffen, aber auch unglaublich berührt, weil diese Kirchenleitung den Mut hat, die Dinge anzusprechen. Und es wird deutlich: Ohne ihren Glauben, ohne das Wissen, dass hier doch noch jemand ist, der sie nicht vergessen hat und der ihnen jeden Tag den Mut und die Kraft gibt, weiterzumachen, ohne das, könnten sie hier nicht weiterleben.

Wir gehen mit vielen offenen Fragen aus diesem Gespräch heraus. In dieser Woche, werden wir die Vertriebenen treffen und vielleicht bekommen wir dann doch die eine oder andere Antwort. Jedenfalls sind wir an einem ‚Hotspot‘ des Konfliktes im Kongo. Und daneben gibt es dann noch die Ebola-Epidemie. Angesichts des Terrors und der Vertreibung kann ich verstehen, warum die Epidemie in der lokalen Gesellschaft keine hohe Priorität hat.

Bezahlbare Gesundheitsversorgung

Auch nachmittags regnet es. Für die Fahrer ist es eine Schlammschlacht. Aber wir lassen uns nicht beirren. Es geht raus in einen Stadtteil von Bunia, wo wir die Mitglieder von unserer Partnerorganisation MUSACA treffen. Der Name MUSACA steht für Mutuelle de Santé Canaan. Das Team hat eine Krankenversicherung ins Leben gerufen, die eine bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle Menschen ermöglichen soll.

Der einzige Platz, der vor dem Regen sicher ist, ist die lokale Kirche. Ein einfacher Lehmbau – und gleichzeitig das Zentrum des sozialen Lebens. Die Versicherungsmitglieder erzählen uns ihre Geschichten: „Ich konnte vorher nie einen Arzt aufsuchen, weil ich mir das nicht leisten konnte. Aber nun werde ich von einem Arzt behandelt, wenn ich krank werde“, erzählt eine junge Frau. Bei ihren Erzählungen spürt man, wie die Versicherung ihnen Selbstbewusstsein und Würde gibt, weil sie nicht mehr Bittsteller sind. Das Difäm unterstützt MUSACA durch die Übernahme der Verwaltungskosten. So können die 10 Dollar Jahresbetrag komplett in die Krankenversorgung fließen.

Wir treffen auch den traditionellen Dorfführer, der uns gleich mit einer Bitte empfängt: „Unser Gesundheitszentrum hier hat kein fließendes Wasser“. Die Frauen, die dabei sind, wiederholen die Bitte immer wieder: „Wir müssen nachts aufstehen, zum Wasserholen gehen. Das ist gefährlich. Schon öfter ist eine Frau dabei vergewaltigt worden. Bitte helft uns, dass wir hier ein Bohrloch bekommen, damit wir Zugang zu Trinkwasser haben.“ Wir nehmen ihre Bitte mit, als wir gehen.