Heute bin ich im Krankenhaus in Rwankole. Der leitende Arzt Dr. Claude hat dort mit der Fistelchirurgie für Frauen begonnen. Die Fertigkeit hat er im Panzi-Krankenhaus bei Denis Mukwege in Bukavu gelernt. In diesem Jahr hat Dr. Claude bereits 67 Frauen mit den Verletzungen im Genitalbereich operiert. Bei 17 komplizierten Operationen hatte er Unterstützung von einem Team aus dem Panzi-Krankenhaus. Das Difäm unterstützt diese OP-Wochen, damit die Frauen zur Klinik kommen und operiert werden können – und zu einem selbstbestimmten Leben zurückfinden.
Ausgestoßen mit 6 Jahren
Dass dabei immer wieder die Gewalt auch ein Thema ist, ist furchtbar. Wir treffen die 6-jährige Faraha mit ihrer Mutter. Das kleine Mädchen wurde im Dorf vergewaltigt und keiner konnte ihr helfen. Sie war mit sechs Jahren eine Ausgestoßene, weil sie Stuhl und Urin verlor. Jetzt konnte sie am Rwankole Krankenhaus operiert werden. Die Mutter strahlt über das ganze Gesicht: „Faraha hat wieder Spielkameraden, sie ist wieder wie früher. Danke, dass ihr das ermöglicht habt.“ Die Kleine macht einen aufgeweckten Eindruck. Ich wünsche ihr sehr, dass dieses Erlebnis keine bleibenden Schäden zurücklässt. Doch ich bleibe betroffen zurück, wie kann man solche Gewalt an einem Kind ausüben. Wer steckt dahinter?
Früh am Morgen werde ich am Gästehaus abgeholt. Es geht in die Klinik von Isiro, die vor 10 Jahren gebaut wurde. Die Leitung hat heute ein junger und engagierter Arzt, Dr. Jaques. Die Geburtshilfe ist ein großer Teil seiner Arbeit. Immer wieder begegnen ihm auch Frauen mit Fisteln. In Deutschland gehören Scheidenfisteln seit der Einführung von Schwangerenvorsorge, Entbindungen im Krankenhaus und Kaiserschnitten der Vergangenheit an. Weltweit leiden aber immer noch zwei Millionen Frauen an den Verletzungen im Genitalbereich. Fehlende Geburtshilfe, frühe Schwangerschaften und sexuelle Gewalt sind auch im Kongo für Fisteln verantwortlich, die Schmerzen und Inkontinenz verursachen. Die Betroffenen werden oft verstoßen und leben isoliert
Gerne würde Dr. Jaques diesen Frauen helfen. Daher hat er sich für ein Training im Panzi Hospital angemeldet, um die Fistel-Chirurgie zu erlernen. Aber er muss warten, noch befindet er sich auf der Warteliste. Wir hoffen, dass sich das bald wieder ändert. Denn hier in dieser Region wäre er der Einzige, der solche OPs anbieten könnte.
Die Klinik ist viel zu klein für die Anzahl der Patientinnen, die an diesem Morgen zur Schwangerenvorsorge kommen. Überall sitzen die Frauen und warten. Dass es seit ein paar Wochen ein Ultraschallgerät gibt, wird sehr positiv wahrgenommen. Das Difäm konnte diese Klinik mit diesem Gerät ausrüsten und junge Ärzte und Hebammen einlernen. Eine Ärztin im praktischen Jahr sammelt gerade Erfahrungen bei der Untersuchung. Es ist gar nicht so einfach, wie es immer aussieht. Sie will das Alter des Kindes feststellen, aber das Kind bewegt sich ständig. Eine falsche Messung könnte fatal sein, wenn es um die Bestimmung des Geburtstermins geht. Fortlaufende Trainings und Supervision sind weiterhin gefragt.
Auch in diesem relativ kleinen Krankenhaus begegnen mir junge Ärztinnen und Ärzte in der Ausbildung. Sie müssen dieses sechsmonatige Praktikum machen. Doch für den behandelnden Arzt ist die Ausbildung und die Begleitung der angehenden Mediziner neben der Patientenversorgung kaum zu leisten.
Medizinische Versorgung im Aufbau
Dann geht es weiter. Wir sollen uns beim Regierungschef der Provinz vorstellen. Dr. Norbert Mandana heißt uns herzlich willkommen und betont wie wichtig die Unterstützung der Kirche und des Difäm ist. Vor allem die Einrichtung des neuen Informationssystems ist ihm ein Anliegen. Gerade erst wurde hier das inzwischen Afrikaweit eingeführte Gesundheitsinformationssystem installiert, aber noch sind die Voraussetzungen für dessen Umsetzung kaum gegeben. Eine bessere Datenlage würde helfen, Behandlungen nachzuverfolgen und Versorgungsleistungen besser planen zu können: Wo gibt es welche Bedarfe und wie kann die Versorgung der Menschen in den vielen Dörfern verbessert werden?
Aufbruch nach Nebobongo
Am Nachmittag brechen wir dann auf nach Nebobongo, südlich von Isiro. Wir besuchen das christliche Krankenhaus vor Ort, an dem die medizischen Arbeit der lokalen Kirche 1953 begonnen hat. Bis vor sechs Monaten war das Krankenhaus praktisch nur mit einer CESSNA zu erreichen. Seitdem gibt es eine ausgebaute Straße dorthin – nicht asphaltiert, aber in 90 Minuten schaffen wir die 60km problemlos. Vorher brauchte man für die Strecke mit dem Auto 4-6 Stunden und musste dieses mindestens 1-2 mal aus dem Schlamm ziehen. Ich bin gespannt, ob sich die bessere Verkehrsanbindung schon auf das Patientenverhalten oder den Zugang zu medizinischen Versorgung ausgewirkt hat.
In jedem Fall wird es Einfluss auf die weitere Entwicklung der Region haben, denn nun kann man ganz anders planen. Medikamente können seither in einer Zentralapotheke in Isiro gekauft werden. Es gibt also Fortschritte – auch im Kongo. Und dieses Mal waren es nicht die Chinesen, sondern der Gouverneur, der diese Straße in Auftrag gegeben hat. Auf dem Weg von Isiro nach Nebobongo fällt auf, wie viele Dörfer hier entstanden sind, Menschen siedeln entlang der Hauptstraße an – darunter auch Vertriebene aus den Minengebieten, die hier Sicherheit suchen. „Wie groß ist das Problem der Gewalt gegen Frauen hier?“, will ich wissen. Es gäbe Gewalt gegen Frauen, wird mir gesagt, aber es sei kein Hauptproblem in den Dörfern. Das sei eher ein Problem in den Regionen, in denen nach Mineralien – hier vor allem nach Gold – gesucht wird. Also um die Minen herum. Das trifft mit dem überein, was Dr. Denis Mukwege bei seinem Besuch in Tübingen sagte: „Die Gewalt gegen Frauen kommt vor allem durch den Kampf um die Rohstoffe.“
Erinnerungen an vergangene Zeiten
Ich darf im ehemaligen Missionarshaus von Nebobongo übernachten. Mama Rose und Mama Neema sind bereits am Kochen. Auf dem Weg dorthin hat Papa Gilbert eine wunderschöne Blumengirlande gebastelt. Er ist der Gärtner, und hier mitten im Regenwald ist alles grün. Bananenblüten gibt es zu Hauf und so werde ich mit Blumen und einem guten Essen willkommen geheißen: Kassavablättergemüse mit gekochten Bananen und einer Hühnersauce. Mama Rose und ihr Team kennen all die Missionare, die hier in den vergangenen 20 Jahren gelebt haben. Das sind schon besondere Beziehungen, die hier im Laufe der Zeit entstehen. Die Missionare sind längst weitergezogen, sind überall in Deutschland verstreut, aber für Mama Rose, Papa Gilbert und Mama Neema sind das besondere Erinnerungen. Am Sonntag wollen sie mir Briefe für die Familien mitgeben.